Geburt der direkten Demokratie

Eingangstüre Landgasthof Talhaus

Basellandschaftliche Zeitung, 4. August 2011

Christoph Rolle - vor 150 Jahren trat in Baselland ein Querkopf auf den Plan

VON ROGER BLUM*
* Roger Blum, emeritierter Professor für Medienwissenschaft der Universität Bern, behandelte «die politische Beteiligung des Volkes im jungen Kanton Baselland (1832-1875)» ausführlich in seiner Dissertation.

In fast verschwörerischer Manier traf sich am 4. August 1861, also vor 150 Jahren, eine Anzahl Männer in der Gaststätte Talhaus bei Bubendorf. Initiant war der Lausner Geschäftsmann, Versicherungsagent, Weinhändler und frühere Lehrer Christoph Rolle. Er wollte seine Unzufriedenheit mit dem politischen System in Baselland ummünzen in eine Volksbewegung. Schon seit 30 Jahren, seit der Kantonsgründung, hatte er gegen die herrschenden Liberalen um Stephan Gutzwiller opponiert. Ihm passte vieles nicht. In den fünfziger Jahren kämpfte er gegen den Eisenbahnbau. Später nahm er an der Bachkorrektion in Lausen Anstoss. Und ganz neu störte ihn, dass der Landrat, ohne das Volk zu fragen, im März 1861 einen Wiedervereinigungs-Vorstoss aus Basel in einer Sondersitzung einstimmig zurückgewiesen und verkündet hatte, niemals würde Baselland zur Wiedervereinigung Hand bieten.

Der 57-jährige Rolle, der äusserst intelligent, aber ein unverbesserlicher Querkopf war, wollte jetzt Nägel mit Köpfen machen. Da er beruflich viel herumkam, kannte er die Stimmung in der Bevölkerung. Viele Leute fanden, die Regierung regiere zu forsch, errichte zu teure Bauten, spare zu wenig und verlange zu hohe Gebühren. Auch wenn man sich nicht Basel-Stadt an den Hals werfen wolle, gebe es durchaus einiges zu kritisieren und zu verbessern an den basellandschaftlichen Zuständen. Rolle und seine Kumpanen vereinbarten daher im Talhaus ein Programm, das eine Verfassungsrevision verlangte. Dieses sah vor, dass künftig alle Gesetze obligatorisch dem Volk zur Annahme oder Ablehnung vorgelegt werden sollten. Und der neue Landrat sollte den Auftrag erhalten, die Gesetze so zu überarbeiten, dass der Staat einfacher, volkstümlicher und sparsamer wird.

Dank Presse und dank Partei

Damit war der Ton der Bewegung angeschlagen: Mehr Demokratie durch direkte Mitentscheidungsrechte des Volkes und mehr Gleichheit durch materielle Erleichterungen für das Volk. Sofort folgten weitere Versammlungen – in Pratteln, Binningen, Sissach - und die Teilnehmerzahl schwoll an: 30, 80, 250 Anwesende. Alle Versammlungen stimmten dem Programm zu. Und Rolle lancierte eine Unterschriftensammlung für die Verfassungsrevision. Er setzte sich zum Ziel, die Unterschriften erst einzureichen, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten unterschrieben hat.

Es würde zu weit führen, den ganzen Ablauf des erregten politischen Kampfes zwischen den Revisionisten (Revi) und ihren Gegnern (Anti) nachzuzeichnen.

Was blieb, waren die demokratischen und sozialen Errungenschaften der Bewegung: das obligatorische Gesetzesreferendum; die Verfassungsinitiative; die Gesetzesinitiative; die Volkswahl der Regierung; die Volkswahl der obersten Beamten; das Recht des Volkes, den Landrat abzuberufen; die fixe Besoldung der Beamten; die Abschaffung der Advokaten; die Gründung der Kantonalbank.

aus: Basellandschaftliche Zeitung, 4. August 2011

Eben diese Kantonalbank hat der Talhaus AG 2012 die Finanzierung des Talhauses ermöglicht...